Sonntag, 29. Juni 2014

Ein neuer Held - und ein tragischer

Auch die KO-Phase beginnt furios: Mit einem Fast-Ausscheiden des Gastgebers im Elfmeterschießen und dem Tor des Turniers von einem, der das Zeug hat, der große Held des Turniers zu werden..

 

BRA - CHI 1:1 (3:2 i. E.)


Ein seltsamer Tag für Mauricio Pinilla war das gestern. 87 Minuten lang verfolgte er das Spiel von der Ersatzbank aus, kam dann für Vidal und wusste zu dem Zeitpunkt schon, dass er wohl noch ein bisschen länger als 5 Minuten am Feld stehen würde. Da stand es 1:1 und beide Mannschaften wirkten, als wären sie mit dem Kopf schon in der Verlängerung. Dass er aber eine Minute vor Schluss Chile fast ins Viertelfinale schießen würde, hätte er wohl selbst nicht gedacht. Noch weniger, dass er dann nur wenige Minuten später den ersten Elfmeter für sein Team verschießen würde. Aber der Reihe nach...
In der Verlängerung tat Brasilien eigentlich mehr fürs Spiel, man wollte natürlich kein Elferschießen riskieren. Alles, nur das nicht! Nicht den kleinen Vorteil, den man vor der Partie auf dem Papier hatte, mit einem Unentschieden nach 120 Minuten dem Zufall schenken! Denn Brasiliens Torhüter Julio Cesar hatte Recht, als er nach dem Spiel meinte, dass es ein "sehr kompliziertes" Match gewesen war.

Kompliziert wird für Brasilien jetzt jedes Spiel werden, denn wie groß der Druck tatsächlich ist, davon bekam man erst gestern Abend eine wirkliche Ahnung, als es dann soweit war und die Kapitäne der beiden Mannschaften sich zum Münzwurf vor dem Elfmeterschießen im Mittelkreis einfanden. Die Münze verdeutlichte allen Zusehern die Tragweite des Moments: Brasilien steht kurz davor, bei der Heim-WM bereits im Achtelfinale auszuscheiden - und das im Elfmeterschießen, der zufälligsten aller Fußballgrausamkeiten.
Die Grausamkeit musste Pinilla in aller Härte erfahren, als er, der noch Minuten zuvor Aluminium getroffen und so seinem Team fast den Aufstieg geschenkt hatte, seinen Schuss nicht an Keeper Julio Cesar vorbei bekam. Vermutlich wollte er den Ball dieses Mal vom Pfosten fernhalten und vergaß dabei auf den Weltklassetorwart vor ihm. Nur wenig wird ihn trösten, dass er nicht der einzige war, der für Chile verschossen hat. Auch den Schuss von Alexis Sanchez konnte Cesar parieren, nachdem Brasiliens Willian (der Willi mit dem N) jämmerlich am Tor vorbeigeschossen hatte.

Solche Elfmeterschießen haben es in sich, wo mehr Schüsse vergeben als verwandelt werden. Sie sind meist der extrem hohen Anspannung geschuldet und heizen die Dramatik an, weil sie das normale Kräfteverhältnis zugunsten des Tormanns verschieben, und das Tor plötzlich kleiner wird, während die Tormänner ins Riesenhafte wachsen. Den Ball von 11 Metern Entfernung in ein 7,32 mal 2,44 Meter großes Tor zu schießen, wird zu einer Mammutaufgabe. Gemeistert haben diese gestern nur David Luiz, Marcelo, Aranguiz, Diaz und Neymar. Am Ende schoss Gonzalo Jara an den Pfosten - der zweite Chilene, der gestern sicher nicht gut geschlafen hat.
Aus der chilenische Traum, auch diesmal scheitert man an Brasilien, und auch wenn es diesmal mehr weh tut als noch vor vier Jahren, müssen wir doch irgendwie froh sein, die Gastgeber nicht jetzt schon verloren zu haben.

COL-URU 2:0



Während wir uns fragen, ob sich für eine Mannschaft überhaupt eine Turnierform feststellen lässt, oder ob einfach jedes Spiel eine völlig neue Ausgangssituation schafft (Brasilien lässt so etwas vermuten), hat sich in den Hinterzimmern dieser Fußball-WM ein neuer Held ins Rampenlicht gespielt. Dieser heißt James Rodriguez und hat bis jetzt bei jedem Spiel getroffen. Gestern gegen die zu Recht ausgeschiedenen Urus sogar zwei Mal. Sein erstes wird wohl das schönste Tor der WM gewesen sein, und das zweite fixierte für die erneut so freudvoll aufspielenden Cafeteros nicht nur den Aufstieg ins Viertelfinale, sondern hob Rodriguez auch an die Spitze der Torschützenliste, wo er momentan allein thront. Er, dessen Marktwert sich nach den letzten Spielen um ein Vielfaches erhöht haben wird. Er, der zusammen mit seinem Teamkollegen Cuadrado für das neue Kolumbien steht, für eine Mannschaft, die sogar die glorreichen Zeiten von Carlos Valderrama vergessen lässt, weil hier Zusehen einfach Spaß macht.
Dass die neuen südamerikanischen Stars die ausgediente Gammel-Mannschaft Uruguays aus dem Turnier geworfen hat, lässt uns zufrieden zurück.

Wenn nun heute abend die anderen Jungstars die andere Gammel-Mannschaft auch noch heimschicken würde, wäre ja wieder alles in Ordnung. (Damit meine ich übrigens nicht Mexiko und die Niederlande..)

Das erste Viertelfinale hießt Brasilien gegen Kolumbien und wenn alles, was wir bis jetzt von beiden Mannschaften gesehen haben, nicht ein vollkommen falsches Bild malt, wird das ein richtiger Kracher! Und das Duell heißt auch: Neymar gegen Rodriguez!


Held des Tages:
James Rodriguez - ein Name wie aus einem Drogenfilm. Er ist jetzt schon der Held dieser WM, weil ihn (und auch seine Mannschaft) vorher niemand auf der Rechnung gehabt hat. Neymar hin, Neymar her.

Tragische Figur des Tages:
Buhmänner sollte es ab der KO-Phase ja keine mehr geben. Dafür gibt es mehr tragische Figuren. Die erste dieser Art ist Mauricio Pinilla, dessen Lattentreffer kurz vor Schluss für ihn und Chile schmerzhaft ist; der uns aber vor einem vorzeitigen Brasilien-Aus bewahrt hat. Man sagt ja immer, dass es dem Turnier nicht gut tut, wenn der Gastgeber zu früh ausscheidet (vor allem, wenn er Mitfavorit ist).
Danke Chile, einmal mehr! Aber dein Ausscheiden ist diesmal zu verschmerzen, weil es jetzt dieses Kolumbien gibt, das die exotischen Sehnsüchte mitteleuropäischer Fußballfans nährt.

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