Dienstag, 12. Juli 2016

Nachschuss: Verdiente Europameister?

Es ist unfair, alles miteinander. Aber das ist egal, weil Fairness kennt der Fußball nicht. Gerechtigkeit auch nicht. Denn dann wäre Portugal schon vor 12 Jahren Europameister geworden und nicht erst jetzt. Portugal, das Brasilien Europas, das bekannt gwesen ist für einen soliden Kader ohne große Namen aber mit viel Spielfreude und Leidenschaft. Sie sind bekannt für das schönste Rot, das es je auf Fußballtrikots geschafft hat. Und sie sind bekannt für Cristiano Ronaldo, den besten Fußballer der Welt. Er hat es nun geschafft, ihm ist das gelungen, was Messi nicht gelungen ist: Den großen Titel mit der Nationalmannschaft zu holen. Und es ist Portugals erster großer Titel.

Der Europameistertitel für Portugal ist ziemlich gleich entstanden wie der WM-Titel für Deutschland. Nur noch extremer, in Euro-Manier. Europameisterschaften werden nämlich gerne mal von Außenseitern gewonnen. Deswegen ist der Erfolg von Island oder Wales eh gar nicht so überraschend. Überraschend ist vielmehr, dass es diesmal der ewige Geheimfavorit war. Denn die Euro gewinnen entweder Außenseiter oder Favoriten. Die Geheimfavoriten spielen bei den Euros eher die Rolle der Enttäuschenden, siehe Belgien. Aber Portugal, das, wie in jedem Turnier, als Geheimfavorit gestartet war, rutschte zusehends in die Rolle des Underperformers. Schon nach dem Spiel gegen Österreich wunderte man sich, was denn diesmal mit Portugal los sei. Dann das Spiel gegen Ungarn. Drei schöne Tore, wie portugiesisch! Leider hinten auch drei bekommen, sei's drum, bei dieser EM scheiden nur die schlechtesten Gruppendritten aus. (Wenn man die Regel so formuliert, wird es übrigens ganz klar, was bei diesem Turnier nicht gestimmt hat: Du musst richtig schlecht sein, um nicht ins Achtelfinale zu kommen. Nicht nur Nordirland-schlecht, sondern Russland-schlecht, Schweden-schlecht oder gar Österreich-schlecht!)

Dann kommt man mit Tugenden ins Finale, die man bisher nur von Italien oder auch Deutschland kannte. Taktisch diszipliniertes Spiel, sogar tendenziell defensiv angelegt, aber vor allem vorsichtig. So, jetzt haben sie uns enttäuscht, die Portugiesen. Sie spielen keinen westiberischen Hurra-Stil mehr, und dieser Ronaldo, der ist also doch ein ganz schlechter und für gar nichts gut. Wie ungerecht, dass so eine Mannschaft ins Finale kommt! Hätte man Portugal vor dem Turnier ins Finale getippt, hätte man höchstens zustimmendes Kopfnicken geerntet: "Jaja, Portugal! Immer gefährlich! Geheimfavorit!" Und dann standen sie tatsächlich im Finale und jeder meinte nur: "Schwach, nur Unentschieden gespielt! Nur hinten drin gestanden! Ronaldo sowieso schlecht!" Da hatte man vielfach schon vergessen, dass Portugal nominell eigentlich die zu favorisierende Mannschaft gewesen wäre - in ihrer Hälfte des Playoff-Baumes nämlich.

Das eigentliche Skandalon dieser EM ist, dass Italien gegen Deutschland verloren hat. In einem der furchtbarsten Elfmeterschießen, das ich je miterleben musste. "Wieder einmal Glück gehabt, die Deutschen!", hätte man sich denken können. Stattdessen beschworen die Deutschen nach dem Aus gegen Frankreich ihr Pech, und inszenierten sich als Opfer der fußballgöttischen Ungerechtigkeit, anstatt zu erkennen, dass gegen Italien schon hätte Schluss sein müssen. Logischer- und auch gerechterweise!
Und Frankreich? Großartige Mannschaft, die es genauso verdient gehabt hätte, das Turnier zu gewinnen. Nominell vielleicht das stärkste Team dieser Euro, mit Glanzmomenten von Payet in den ersten beiden Spielen, dann kam Griezmann, der große Star dieser Euro; und in deren Schatten mächtige Aufblitzer von Sissoko, Coman, Pogba und Konsorten. Fußballherz, was willst du eigentlich mehr als dieses Frankreich?

Europameister werden zum Beispiel. Doch das sind die geworden, die es sich in den letzten 12 Jahren am meisten verdient haben. Sie werden Europameister, weil sie es vorher nicht geworden sind. So wie Deutschland erst 2014 die Versprechen eingelöst hat, die seit dem Sommermärchen von 2006 bestanden. Portugal ist verdienter Europameister. Das wird einem aber nur klar, wenn man über diese EM hinausblickt. Portugal musste in die Geschichte eingehen und diesen Titel holen. So wie Holland 1988 Europameister werden musste, weil sie 1974 und 1978 nicht Weltmeister geworden waren. Das ist vielleicht doch die fußballerische Gerechtigkeit: Dass Nationen, die sich um den Fußball verdient gemacht haben, irgendwann doch belohnt werden.

Und CR7? Er ist nun doch der beste Fußballer der Welt, ob man ihn mag oder nicht. Dass sich allerdings die mediale Berichterstattung nur um ihn dreht, als hätte er den Titel im Alleingang geholt, ist lächerlich. Nicht nur, weil er kein besonders tolles Turnier gespielt hat, und im Finale so gut wie gar nicht anwesend war (außer in der Coachingzone), sondern auch, weil dieses Ronaldo-Abfeiern Portugals Triumph alles Würdige nimmt. Nämlich auch viel von dem, was vor diesem Turnier passiert ist. Das ist schade. Aber Ronaldo wird das wurscht sein. Mir eh auch, so wie mir diese ganze EM eigentlich recht wurscht war.

Genießt still im Schatten von CR7: Fernando Santos

Sonntag, 26. Juni 2016

Holland fehlt

Die Vorrunde ist vorbei, die KO-Phase läuft auf Hochtouren, und immer noch geht die EM an mir vorbei. Das liegt nicht nur an den mauen Spielen, sondern auch an den Akteuren. Wofür die Fußballspiele noch 90 Minuten dauern? Damit die Sendezeit im TV ausgefüllt wird und die Standeln im Stadion ein paar Bier und Würste verkaufen können. Ich habe jetzt genug Entscheidungen in den letzten Minuten gesehen und bin von genügend sogenannten Stars enttäuscht worden.

Der einzige Bale, der auch tatsächlich seinem Status gerecht wird - überall sonst lauter Loser. Von Ibrahimovic über CR7 (gut, ein tolles Spiel mit schönem Tor war schon dabei) bis zum heimgereisten Alaba: Das ist die EM der Enttäuschungen. Da passt es nur zu gut, dass der schweizer Giftzwerg Shaqiri, der Beine hat wie Holzscheite, das schönste Tor des Turniers schießt und die Schweiz dafür natürlich nicht belohnt wird.

Der ganze Playoff-Ast mit den Zweitklassen-Teams ist überhaupt ein einziger Witz. Das ist eine B-WM, während sich auf der anderen Seite die Favoriten gegenseitig so lange langweilen, bis irgendeiner einen Elfmeter verschießt. Italien-Spanien ein Kracher? So wie diese EM bis jetzt gelaufen ist, passiert 118 Minuten nichts, bis eine Mannschaft der anderen ein Eigentor abringt. Düstere Prognosen sind das, und so wie es gerade aussieht, wird Deutschland Europameister und spätestens dann haben wir das Gefühl, dass das alles umsonst war.


Mit fehlen ganz klar die Niederländer. Kein anderes Team nimmt mich emotional besser mit als sie. Egal, wie sie spielen. Ob Hollywood wie 2008 oder Hütteldorf wie 2014 - Holland ist Emotion! Das fängt bei den Trainern an und hört bei den Fans auf. Niemand kann Holland ersetzen. Niemand hat so schön orange Trikots, niemand spielt so zwischen Genie und Wahnsinn, niemand schafft es regelmäßig, dann doch so tragisch zu scheitern.

Eigentlich ist mir wurscht, wer Europameister wird. Von den erwähnten Teams hat es keines so richtig verdient, aber auch keines so richtig nicht verdient. Ich verfolge diese EM nur noch unter Protest und mit endenwollender Begeisterung! (Und hoffe natürlich insgeheim, dass ich negativ enttäuscht werde)

Der einzige Halbheld - mittlerweile auch ausgeschieden

Mittwoch, 22. Juni 2016

Was wir jetzt brauchen

Wir brauchen Glück.
Man könnte sagen, wir hätten gegen Portugal schon unser ganzes Glück aufgebraucht. Man könnte aber auch sagen, dass es eher so war, dass Portugal viel Pech hatte und wir gar nicht so viel Glück gebraucht haben. Und unser Pech, das haben wir im ersten Spiel schon entsprechend gehabt. Es könnte also ein ganz normales Match werden, das wir mit ein bisschen Glück gewinnen können.
Erste Vorzeichen gibt es ja schon: Der Achtelfinalgegner wäre jetzt überraschenderweise Kroatien statt Spanien!

Wir brauchen Alaba.
Alabas größte Leistungen bringt er dann, wenn er nicht gut spielt. Erst dann schrillen nämlich bei den anderen 10 Österreichern die Alarmglocken und sie rufen ihre allerbeste Leistung ab. Das trifft vor allem auf Arnautovic zu. Der kann dann, wenn es sein muss, sogar hervorragend Defensivaufgaben lösen, wie gegen Portugal zu sehen war. Und wenn Alaba gut in Form ist, dann ist eh alles okay. Fehlt Alaba, weil er das Vertrauen von seinen 8 Millionen Teamchefs nicht mehr hat, dann verunsichert das den Rest der Mannschaft und sie traut sich gar nix mehr zu. Dann sind wir so weit wie wir vor 8 Jahren schon mal waren. Das wäre schade.

Wir brauchen Grant.
Das hoffnungsfrohe Österreich gibt es nicht. Hat es nie gegeben. Wir schöpfen unsere Zuversicht aus dem Grant gegen die anderen, gegen das große Ganze. Der Grant ist unser Rückzugsort, wenn es mal nicht so läuft - und es läuft in unseren Augen sehr oft "mal nicht so". Und aus dem Grant kann in Österreich Großes wachsen.
Wir können grantig sein, dass wir eine gute Quali gespielt haben und uns ausgerechnet jetzt die Luft ausgeht, nichts mehr so zusammengeht wie vorher, die Leistungsträger verletzt oder außer Form sind. Wir können grantig sein, weil wir das deutsche Frühstücksfernsehen aufdrehen und sehen, wie sich die Deutschen schon wieder wegen eines 1:0 gegen Nordirland abfeiern. Gründe haben wir genug - und der Grant gibt uns die Kraft!

Wir brauchen Besonnenheit.
Sollten wir heute verlieren, dann ist das schade, aber nicht das Ende der Welt. Vielleicht wird es sich so anfühlen, aber wenn wir uns ehrlich sind, haben wir es im Vorfeld mit dem Jubel schon ordentlich übertrieben. Aber bei uns gibt es nunmal nur den Juchiza und den Grant - tertium non datur, würde der Lateiner sagen: Ein Drittes gibt es nicht.
Sollten wir heute gewinnen, sind wir freilich auch gegen die hervorragenden Kroaten krasser Außenseiter. Und wenn wir dann im Achtelfinale ausscheiden, wär es trotzdem ein Erfolg gewesen. Dem würde zwar im Vorhinein jeder zustimmen, aber wenn es dann soweit ist, ist wieder "olles Oasch".
Nur wenn wir besonnen mit den Ergebnissen unserer Fußball-Nationalmannschaft umgehen lernen, werden wir auch in Zukunft Freude an diesem Sport haben.

Wir brauchen ein Tor.
Egal, was passiert. Wenn wir torlos aus dem Turnier ausscheiden, dann wäre das schon ein unwürdiger Abschied. Wir müssen scoren, müssen diesen Vastic-Elfer von 2008 endlich einen Kumpanen beiseite stellen, damit wir sagen können: Wir haben zumindest bei jeder EM-Teilnahme ein Tor geschossen. Der Vastic-Elfer braucht einen Alaba-Freistoß, einen Hinteregger-Gewaltschuss oder einen Arnautovic-Fersler, damit er sich nicht so alleine fühlt. Und wir brauchen das Tor, damit wir aufsteigen und zumindest für ganz kurze Zeit unser Grant verfliegt!

Österreichs bisher einziges Tor bei einer EM. Der Vastic-Elfer gegen Polen

Sonntag, 19. Juni 2016

Das Sakrileg und Almers Aura

Es war wieder einmal ein denkwürdiges Match in Österreichs überschaubarer EM-Geschichte. Das hart erkämpfte und dennoch sehr glückliche 0:0 von Paris lässt die Nation hoffend zurück, und selbige befindet sich schon wieder auf einer Achterbahn der Gefühle: Vor einer Woche waren wir noch Europameister der Herzen - da hatten wir noch nicht einmal ein Spiel gespielt. Vorgestern waren wir die größte Enttäuschung aller EM-Teams überhaupt - nämlich dieser und aller vorhergegangenen Europameisterschaften. Heute sieht das schon wieder anders aus, denn: "so schlagen wir auch Island!" Island, die wir noch vor einer Woche ohnehin geschlagen hätten, die sich aber plötzlich als der große Gruppen-Leader herausgestellt haben... Herrje, Fußball kann so kompliziert sein!

Cristiano Ronaldo hat gestern geweint, geflucht, gebetet - es half alles nichts. Entweder legte sich Martin Hinteregger wie der reinste Baumstamm in jeden Schussversuch, oder aber Europas bester Fußballer scheiterte am übermenschlichen Robert Almer. Der Österreicher, der bis zur 36. Minute die meisten Ballkontakte zu verzeichnen hatte. Als Tormann!
Wir brauchen gar nicht drüber reden, dass auch wir zu Chancen gekommen sind - die Portugiesen hatten gefühlt hundert mehr. Eckballstatistiken sind ja diesbezüglich sehr aussagekräftig: Da stand es nach dem Spiel 10:0 für Portugal. Aber wie schon im ersten Spiel scheitert Portugal trotz spielerischer Überlegenheit an einem zachen Hund von einem Gegner. (Mehr Paraden als Almer hat in der Statistik übrigens nur Islands Haldorsson, und ohne nachzuschauen vermute ich mal, das der Großteil davon aus dem Portugal-Match stammt.)

Österreich zeigte sich ähnlich wie im Ungarn-Spiel, zumindest was den Spielaufbau betrifft. Da und dort war der eine oder andere vielleicht noch einen Tick besser (Arnautovic, Harnik), am Ende aber bleiben eine katastrophale Passstatistik und zahlreiche vergebene Halbchancen, an denen wir uns jetzt aufzurichten versuchen - während wir wohlgemerkt immer noch auf unser erstes Tor bei dieser EM warten. Generell bietet sich der Vergleich mit unserer Heim-EM an. Ein bitterer Auftakt gegen Kroatien (0:1, viele vergebene Halbchancen), ein geschenktes Tor zum 1:1-Ausgleich gegen Polen (das Pendant war gestern der verschossene Elfer von Ronaldo), und vor dem "Endspiel" gegen Deutschland schien plötzlich alles möglich. Woher man damals den Optimismus nahm, weiß ich genauso wenig wie jetzt. Wir haben das letzte Spiel letztlich "zwar knapp, aber deutlich" verloren.
Uns fehlt eigentlich jetzt nur noch das Tor, und das muss gegen Island irgendwie her!

Unser Spiel war gestern ärgerlich und widerlich. Es ist eine Qual, so etwas durchsitzen zu müssen, vor allem, weil das ganze Match mit jeder Minute eine noch größere Schieflage bekam. Der Ball rollte ja nur noch Richtung Österreichisches Tor. Doch die Portguiesen machten es nicht. Daher bekam man um Minute 60 das eigenartige Gefühl, das Spiel könne jetzt so weit sein, dass sich die Österreicher ein unverdientes Tor verdient hätten. Ein sinnloser Zufallskonter, ein Eigentor von Portugal, irgendwas, damit dieses Nichts endlich aufhört Nichts zu sein, und dem Spiel aus österreichischer Sicht endlich irgendeine Bedeutung, irgendein Sinn zukommt.

Da verließ der heilige Alaba das Feld. Marcel Koller hat das größtmögliche Sakrileg begangen, und es war nur konsequent. Als Fußball-Österreich seinen Heiligen vom Feld marschieren sah, wusste man: jetzt können wir wirklich verzweifelt sein, uns der Verzweiflung vollends hingeben, uns in ihr baden.
Unsere größte Hoffnung schien zu sein, dass Portugal ja versagen könnte. Dieses Haar im warmen Wind einer sehr fernen Hoffnung: "Vielleicht passiert ja irgendetwas, und sie versagen!", so dachte man.

Und dann versagte Portugal. Noch besser: Ronaldo versagte. Und wie!
Es wäre kitschig gewesen, hätte Almer den Elfmeter (der ja eigentlich auch nicht gerechtfertigt war, aber wurscht) auch noch gehalten. So tat es mehr weh, denn Ronaldo scheiterte an sich selbst und dem Pfosten. Und er schien damit endgültig gebrochen - nach so vielen hochkarätigen Chancen, die einer wie er normalerweise der Reihe nach nutzt. Dann auch noch der Elfmeter, es war zum Haargel raufen! Seine Verzweiflung übertrug sich auf den Rest der Mannschaft, und Österreich erstarkte daran. Die Österreicher bemerkten nun, dass sie es tatsächlich schaffen könnten, Portugal einen Punkt abzuknöpfen und die Sache mit dem Achtelfinale doch noch irgendwie offen zu halten. Der Fußballgott - er hat uns dieses eine Mal das bisschen Glück geschenkt, das wir so oft nicht bekommen haben!

So ließ dieser Fußballgott die Totgeglaubten wieder einmal länger leben. Und als Marcel Koller dann den Hinterseer einwechselte, ging ein Strahlen durchs Stadion; bis man erkannte, dass es nicht der allseits geliebte Hansi mit den Fell-Moonboots war, sondern der Lukas. Doch Almers Aura überstrahlte gestern alles, ein Tor der Portugiesen war klar abseits - nichts wollte für sie klappen an diesem Abend im Prinzenpark: 61 gefährliche Angriffe, 23 Schüsse, 10 Ecken - alles Schall und Rauch! Almer stand, der Pfosten war sein Pfosten, Portugals Versagen sein Verdienst. Es war alles wie ein Wunder - das Wunder vom Prinzenpark. Für die nächsten paar Tage ist er unser Heiliger: Robert Almer, Torwart-Gott!



Wir können es aber auf gut Österreichisch auch so sagen:
"Offensiv hat der Almer gestern ja überhaupt nichts gebracht!"




Freitag, 17. Juni 2016

Über die Hoffnung

Von Hegel gibt es bekanntlich den Satz, dass das Tragische an der Tragödie nicht ist, dass A Recht hat und B nicht, sondern dass beide Recht haben. Von Schneckerl Prohaska gibt es den folgenden Satz: "... Weil du oft sagst: gegen die haben wir keine Chance. Aber in Wahrheit rechnest du dir immer eine Chance aus!"

So weit eine solche Gegenüberstellung auch hergeholt scheint, Herbert Prohaska und Georg Wilhelm Friedrich Hegel haben mehr miteinander zu tun, als man zunächst glauben möchte. Die Tragik im Fußball liegt nämlich unter anderem auch darin, dass nicht immer der gewinnt, der gewinnen sollte. Gleichzeitig bezeichnet dieser Umstand die Hoffnung (für die Außenseiter) und die Angst (der Favoriten). Hoffnung und Angst treiben das runde Leder 90 Minuten lang zwischen A und B hin und her, die immer beide Recht haben.


Für Österreich hat das natürlich wieder bittere Folgen. Weil zunächst die Hoffnung die allergrößte war, und jetzt haben wir nicht einmal mehr Angst vor dem Ausscheiden, weil wir im Geiste (Hegel!) sowieso schon ausgeschieden sind. Unsere Chance ist jetzt eigentlich nur noch die, dass wir uns in unserer Grundbefindlichkeit der Erwartungslosigkeit suhlen können und urösterreichische Topoi abspielen können: "Warum immer wir?", "Die können ja sowieso nix.", "Zawos samma überhaupt dabei" etc.

Vollkommen fremd ist uns das, was die anderen kleinen Mannschaften auszeichnet (und eine solche sind wir - FIFA-Weltrangliste hin oder her): Froh sein, dabei sein zu dürfen und schauen, was geht. Sonst sind wir die Weltmeister des "Schauma moi", aber bei der Fußball-EM haben wir sogar das Schauen verlernt. Portugal - ein übermächtiger Gegner? Ohne Junuzovic und Dragovic eh keine Chance? Island viel zu stark? Ich würde sagen: Schauma moi!



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Weil wir vorher von der Tragödie gesprochen haben: Die große Faszination am Sport überhaupt, am Fußball aber im besonderen, ist, dass der Erfolg des einen die Schmach des anderen bedeutet. Nirgends wird das deutlicher als beim Fußball mit seinen wenigen Toren. Was viele Nicht-Fußball-Fans und Amerikaner an diesem uns so lieben Sport bemängeln, nämlich seine ihm scheinbar inhärente Langeweile aufgrund der meist wenigen Highlights, ist in Wahrheit der Zunder des Zurückhaltenden. Mir fällt nämlich spontan auch keine Sportart ein, in der, je höher die Spielklasse ist, desto weniger Punkte (= Tore) gemacht werden.


Bei dieser EM fällt auf, dass die wichtigen Tore alle sehr spät gemacht werden. Denn je später der Zeitpunkt, desto wichtiger natürlich das Tor! Das wissen vor allem die Franzosen, die mir nach zwei Spielen trotz aller Probleme wirklich gut gefallen. Da ist Herz dabei und ein bisschen Hirn auch, gepaart mit krassen Entscheidungen des Teamchefs Dechamps. Dann noch der einzige wirkliche EM-Held bisher, nämlich Payet, der jetzt bei zwei Toren hält. So wie Bale (zwei geniale Freistöße) und der Rumäne Stancu (zwei Elfmeter). Sind die Franzosen gerade dabei, sich in einen Groove zu spielen? Wenn ja, wäre es vielleicht schlecht, im dritten Spiel, das jetzt reine Formsache ist, die dritte Garnitur rauszuschicken, und stattdessen unbekümmert zu versuchen, mehr Tore früher im Spiel zu erzielen.


Und England? Zitterpartie gegen die wirklich guten Waliser, ebenfalls spätes (sehr spätes) Erlösungstor durch Sturridge. Zwei halbwegs gute Halbzeiten in zwei Spielen - das wird in der KO-Phase zu wenig sein. Und aufs Elfmeterschießen verlässt man sich als Engländer besser nicht!

Deutschland hat das typisch unbeeindruckende Spiel gegen Polen hinter sich gebracht, was erwartbar war und im Falle der Deutschen wie immer genau gar nichts aussagt. Auffällig war bei den Deutschen bisher sowieso nur Jogi Löw.

Heute sehen wir auch wieder den Europameister, dessen Ziel es zu sein scheint, den Gegner durch einkreisen im eigenen Strafraum zum Eigentor zu zwingen. Die Tiki-Taka-Revolution droht, ihre Kinder zu fressen. Irgendwann sind Abschlüsse eben auch gefragt.

Italien hat mich ebenfalls wieder überrascht, die gegen den Mitfavoriten Belgien ein taktisch solides Spiel gezeigt haben (in gewohnter italienischer Manier), zeitweise aber offensivfreudig auftraten und zwei wirklich schöne Tore geschossen haben. Die Schönheit schießt zwar keine Tore, sagt man, aber ganz außer acht lassen sollte man sie deswegen auch nicht, denn Schönheit macht sympathisch. (Siehe Holland bei der EM 2008!)

Belgien ist übrigens weder sportlich noch ästhetisch weg vom Fenster, da erhoffe ich mir noch einiges. Ins Achtelfinale zittern und dann ins Finale marschieren - diese Story gibt es ja auch immer wieder.


Beeindruckend sind auch bei diesem Turnier wieder die sogenannten Außenseiter, die allesamt wirkliche Qualitäten aufs Spielfeld bringen. Slowakei, Wales, die Ukraine und, ja, auch Ungarn sind würdige Teilnehmer dieser Endrunde und können zu den Stolpersteinen werden, die gerade in der EM-Geschichte oft auch sehr weit gekommen sind.

Nur die Russen wirken irgendwie abgemeldet- ein Status, den man schon am Gesicht ihres Trainers ablesen kann. Aber jede Tragödie hat auch ihre Bösewichte, verlogene Kammerdiener, eifersüchtige Nebenbuhler. Wieso sollte es im Fußball anders sein?


Welche Rolle Österreich in diesem Stück spielt? Schauma moi...









Hat in diesem Stück mit Sicherheit die Hosenrolle: Der älteste EM-Spieler aller Zeiten Gabor Kiraly (40).





Montag, 13. Juni 2016

Erste Brisen

Die EM hat Fahrt aufgenommen, und bevor sie zum großen Orkan wird, gilt es, sich die ersten Brisen, die einem schon um die Nase geweht sind, nochmal zu genießen:

Für Frankreich startete die EM mit viel Mühe - wie sich das für das Eröffnungsspiel gehört. Dass von den Rumänen letztlich doch nichts in Erinnerung bleibt, ist dem glänzenden Weitschuss von Dimitri Payet geschuldet, der die Gastgeber erlöst hat und stellvertretend für alle Franzosen - egal ob im Streik oder nicht - kurz danach in Freudentränen ausbrach, als er auf der Ersatzbank Platz nehmen durfte.
Frankreich spielte über kurze Strecken stark - ist aber von der Form vor zwei Jahren noch weit entfernt. Vielleicht täuscht aber die Last des Eröffnungsspiels über die wahren Qualitäten dieser Mannschaft hinweg, v.a. weil von Pogba und Griezmann noch viel zu wenig zu sehen war?

Das andere Team, das mir schon vor zwei Jahren gut gefallen hat, hat die beste erste Hälfte einer Mannschaft geboten, die es bisher zu sehen gab: England nämlich, die sich aus völlig unerfindlichen Gründen nach der Halbzeitpause dazu entschlossen, in der zweiten Hälfte nichts zu bringen. Dabei wäre die erste Hälfte so gut, so dynamisch, schnell und kreativ gewesen! Den Russen ist ja in der zweiten Hälfte ähnlich viel eingefallen wie in der ersten: nämlich gar nichts bis wenig. Trotzdem fühlte sich der Ausgleich in der Nachspielzeit irgendwie gerechtfertigt an. Und das darf aus englischer Sicht einfach nicht sein, will man dieses Jahr wieder ernst genommen werden! Den Russen empfehle ich Putin als Kabinenschreck, damit wenigstens die Angst vor dem Straflager ein wenig Motivation schürt, wo sonst nur augenscheinliches Desinteresse herrscht.

Kroatien macht dort weiter, wo es aufgehört hat, wenn auch mit einer ziemlich anderen Mannschaft. Trotzdem: das kroatische Spiel wird sich noch mausern (müssen), vor allem gegen die Spanier, die schon vor vier Jahren im letzten Gruppenspiel große Probleme mit den findigen Kroaten hatten (damals allerdings noch unter dem genialen Trainer Bilic). Das Spiel gegen die Türkei kam mit weniger blutenden Schädeln und Verletzten aus als dieselbe Begegnung bei der EM 2008 im Viertelfinale. Nur Corluka hielt sich an die Erwartungen und spielte schon bald mit blutendem Turban, und versuchte wohl so, die türkischen Spieler kulturell zu provozieren.
Diese revanchierten sich in der 41. Minute mit einer missglückten Kerze aus dem eigenen Strafraum, die der geniale Modric mit einem sensationellen Volleyschuss verwertete. Eigentlich hätte es auch 3:0 ausgehen können, aber die Kroaten sind bemüht darum, das bescheidene Balkanvolk darzustellen. Mal sehen, was denen noch zuzutrauen ist!

Am Abend dann der Weltmeister gegen die Ukraine: intensive erste Hälfte mit großen Chancen auf beiden Seiten. Sowohl Manuel Neuer als auch Andrij Pjatow reagierten in vielen Situationen großartig. Dass Deutschland trotzdem in Führung ging, war nicht nur zu erwarten, sondern auch irgendwie verdient. Trotzdem: so frech hatte die Ukrainer wohl niemand erwartet, und ihrem Agieren (man vergleiche dazu die Russen gegen England) war es geschuldet, dass wir die unterhaltsamsten 45 Minuten bisher geboten bekamen.
Deutschland hingegen ist nicht nur die "Turnier-Mannschaft", sondern auch jene, die gerne für bleibende Bilder sorgt. Diesmal waren es Boatengs spektakuläre Rettungsaktion, in der er eine ukrainische Großchance mit einem Fast-Eigentor vereitelte, das wiederum er selbst noch auf der Linie verhinderte. Wer's nicht gesehen hat, dem kann man's nicht erklären!
In der zweiten Hälfte lief generell weniger zusammen, man hätte sich da aus deutscher Sicht ein früheres 2:0 erwartet. Also wartete man, bis der Alt-Kapitän Schweinsteiger mit dem Grau-Färben der Schläfen fertig war und eingewechselt werden konnte. Wer das für einen bloßen Cameo-Auftritt hielt, wurde bald eines besseren belehrt: Aus einem Konter (die Ukrainer waren ja hinten natürlich schon offen wie ein Pavianarsch) flankt Özil genial dem Schweini vor die Haxn und der netzt doch tatsächlich nur wenige Augenblicke nach seiner Einwechslung- und kurz vor Schluss des Spiels - zum 2:0 Endstand ein. Auch so ein "memorable moment", von denen die Deutschen gleich zwei in einem Spiel fabriziert haben - womit es im Übrigen auch genug sein sollte!

Inzwischen spielt auch schon wieder der amtierende Europameister (ja, Spanien gibt es noch!) gegen die ehemaligen Dauer-Geheimfavoriten Tschechien. Also schnell wieder weg!


Donnerstag, 9. Juni 2016

Über Euphorie

Heute hat mich ein guter Freund angerufen, um mir mitzuteilen, dass morgen die EM los geht. Dann hat er mir noch mitgeteilt, dass er Vater werde. Jetzt kann man sagen, er habe ein gutes Gefühl für Dramaturgie, falle nicht gleich mit der Tür ins Haus, spare sich das Wichtigere für den Schluss auf. Und es stimmt, schließlich unterhält man sich nicht über zukünftige Vaterfreuden, um danach über Fußball zu reden - obwohl wir dann schon wieder über Fußball geredet haben. Vielleicht haben wir insgesamt wirklich mehr über die ins Haus stehende EM geredet als über die kommende Vaterschaft. Aber das liegt in der Natur der Sache, schließlich ist die EM in einem Monat schon fast wieder vorbei, wohingegen die Vaterschaft im Normalfall ein Leben lang dauert.

Nach dem Telefonat spürte ich Euphorie. Man glaube mir, dass es nichts mit der morgen beginnenden EM zu tun hatte, sondern wirklich nur mit meinem Freund und allem, was ihm bevorsteht. Trotzdem brachte mich die Euphorie wiederum auf den Fußball und erinnerte mich an die Großereignisse, deretwegen ich mich alle zwei Jahre wie ein Kind fühlen darf. Weil man sich durch etwas, womit man eigentlich nichts unmittelbar zu tun hat, wahnsinnig gut oder ziemlich schlecht fühlen kann. Also ist die Fußball-EM eh so etwas wie die anstehende Vaterschaft eines guten Freundes. "Vaterschaft" - das klingt so schwer und verbindlich. "Europameisterschaft" klingt hingegen verheißungsvoll! Das eine ist eine Lebensaufgabe, ja sogar ein Lebenssinn. Das andere sind vier Wochen im Frühsommer, während derer jeden Tag Bier getrunken und diskutiert wird, man sich streitet, wundert, ärgert. Und das, obwohl es eigentlich mit einem selbst gar nichts zu tun hat.

Kollektive Euphorie so kurz vor den Sommerferien - sind wir froh, dass unser Wirtschaftssystem sich das leisten kann! Sind wir froh, dass wir mit so unwichtigen Dingen wie Fußball so viel Zeit verschwenden können. Ein Fußball-Großereignis ist für uns eine Versicherung, dass es uns gut geht. Wenn die größten Probleme die Auflösung des Flachbild-TVs oder der zur Neige gehende Biervorrat sind, dann geht es uns gut!

Und uns geht es diesmal wirklich gut - weil wir dabei sein dürfen! Dieses undeutliche WIR - der Zwergenstaat Österreich im Gebilde einer Europäischen Union, die im Kontext einer EM keinen Menschen interessiert. (Obwohl es natürlich schon interessant ist, wenn die Briten mit gleich drei Mannschaften antreten und gleichzeitig bald darüber entscheiden werden, ob sie überhaupt zu Europa dazugehören wollen.)

Lassen wir die Euphorie beginnen und hoffen wir, dass sie bis zum letzten Tag anhält - egal, wer dann im Endspiel steht! Meinem guten Freund wünsche ich dasselbe für die kommenden Monate, nur mit dem Unterschied, dass er sich ruhig auch darüber hinaus noch täglich freuen darf. Schließlich sind nicht nur Europameistertitel für die Ewigkeit...